Der Dirigent Titus Engel im Porträt
von Andreas Falentin
Der Dirigent Titus Engel ist anders. Was vielen seiner Kollegen lästige Pflicht, ist ihm lustvolle Kür: die Auseinandersetzung mit szenischen Konzepten und zeitgenössischen Werken. Deshalb begann er unser Gespräch auch mit einem temperamentvollen Plädoyer.
Die Oper als Modell der Gesellschaft
„Ich glaube, dass Oper eine extrem zeitgemäße Kunstform ist, auch weil diese Zusammenführung der verschiedenen Künste die Menschheit schon fasziniert hat, bevor es die Oper überhaupt gab. Ich erlebe es so, dass ihre gesellschaftliche Relevanz, gerade auch im Zeitgenössischen, eher wächst. Bei den Projekten, die ich mache, merke ich keine Überalterung im Publikum. Oft kommen viele begeisterte junge Leute, ob nun bei ,Donnerstag aus „Licht“‘ in Basel oder bei ,Akhnaten‘ in Antwerpen. Was mich extrem begeistert, ist die Idee, dass man sich in der Oper zusammen etwas Utopisches baut, sich ein Spiel ausdenkt, wie man es auch bei Kindern sieht. In der Oper hat man dafür am allermeisten zur Verfügung: Orchester, Sänger, ein Bühnenbild?… Ich erlebe das jedes Mal als total faszinierend, dass jeder in seiner Arbeit sozusagen für sich arbeitet, auch wenn wir ständig kommunizieren, und erst in den letzten Wochen kommt alles zusammen, und es entsteht etwas. Ich glaube, das ist ein Utopiemodell für Zusammenarbeit, das durchaus gesellschaftliche Ausstrahlung haben kann – nämlich, dass wir als Menschen nicht nur für uns denken, nicht nur im kleinen Rahmen für unsere Familie oder unsere Nächsten da sind, sondern dass man zusammen eine Gesellschaft baut. So kann die Oper ein Modell sein für einen positiven gesellschaftlichen Prozess. Darin ist es unsere Aufgabe als Künstler, Angebote zu machen für die Menschen, in denen es um die Differenzierung der Welt und die Differenzierung der Wahrnehmung geht. Wir müssen den Diskurs am Laufen halten, zu einfachen Wahrheiten widersprechen, zumindest Gegenmodelle dafür hinstellen. Was mich interessiert, ist eine Mischung aus Überforderung und Unterhaltsamkeit – bei ,Traviata‘ die Tiefe offenlegen und bei Stockhausen die Unterhaltsamkeit. Die große Besonderheit der Oper ist ja, dass Inhalte über Musik transportiert werden. Es gibt doch diesen berühmten Spruch ,Worüber man nicht schreiben kann, darüber soll man singen‘. Ich weiß nicht, wer das gesagt hat, jedenfalls nicht Wittgenstein und auch nicht ich. Aber es hat schon was. Es gibt eine Grenze des Sagbaren, der Erkenntnis auf der Welt. Auch wenn heute die Religionen wieder einen viel stärkeren Einfluss haben, ist es aus meiner Sicht so, dass es viele Dinge gibt, die man nicht in Worte fassen, nicht erklären kann. Da kann Gesang, kann Oper, kann Musik eine Ebene sein, die Fragen emotional beantwortet, was in einer aufgeklärten Gesellschaft auch eine Art Ersatz sein kann für Religion.“
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